Nord- und Südschule (Auf den Spuren des Zen III)

Eines Tages rief der fünfte Patriarch seine Schüler zusammen und befahl ihnen einen Vers zu dichten, der den Grad ihrer Erleuchtung anzeigen sollte: „Sollte einer dabei sein, der zum „Großen Sinn“ erwacht ist, wird dieser mein Gewand bekommen und mein Nachfolger werden.“ Die Mönche überließen die Aufgabe dem Hauptmönch Shen Xiu, der folgendermaßen antwortete:

Der Leib ist der Baum der Erleuchtung. Der Geist gleicht einem klaren Spiegel.
Müh dich, ihn alle Zeit abzuwischen!
Lass kein Staubkorn sich darauf ansetzen.

Als Hui Neng, der nur im Kloster arbeitete, Reis stampfte und Brennholz sammelte, von dem Vers hörte, ließ er von einem Mönch – er selbst war Analphabet – einen Vers schreiben:

„Es gibt ursprünglich keinen Baum der Erleuchtung,
noch einen Ständer mit klarem Spiegel,
von Anfang an existiert nicht ein einziges Ding.
Wo kann sich ein Staubkorn ansetzen?“

Die Nordschule wurde von Shen Xiu (606 – 706), der wichtigsten Persönlichkeit dieser Tradition, vertreten. Er erhielt das Dharma-Siegel des fünften Patriarchen, Hui Ren. Seine Übungen beruhten auf der Lehre, das Ziel in der Reinigung der ursprünglichen lauteren Geistesnatur von allen Trübungen zu erreichen.

Die Südschule wurde von Hui Neng (638 – 713) vertreten, der als der sechste Patriarch in die Geschichte des Zen einging. Er war anfangs kein ordinierter Mönch, sondern hatte nur inoffizielle Begegnungen mit Hong Ren. Aber nachdem der Meister das oben angeführte Gedicht von Hui Neng gelesen hatte, rief er ihn des Abends und übergab ihm das „Dharma der plötzlichen Erleuchtung“ und sein Gewand mit den Worten: „Ich mache dich zum sechsten Patriarchen.“ Der Dharma wird von Geist zu Geist überliefert. Jedoch befahl er Hui Neng, das Kloster unverzüglich zu verlassen und nach Süden aufzubrechen.

Nach dem Tod von Hui Neng und durch die Bemühungen seines Schüles Shen Hui wurde die nachträgliche und offizielle Bestätigung von Hui Neng als sechsten Patriarchen anerkannt. Ein Auszug aus dem Erleuchtungsvers des sechsten Patriarchen:

„Im Zustand der Trübung ist Buddha ein Sterblicher,
erleuchtet ist ein Sterblicher Buddha.“

Die fünf Häuser des Chan

In der Zeit nach Hui Neng vom 8. – 13 Jh. entwickelte sich der Chan zu neuer Blüte. Es entstanden die fünf Häuser, welche als unterschiedliche Stilarten anzusehen sind, die sich wie von selbst aus der Art der Unterweisung im Kreis der Meister ergaben.
Diese waren die Richtung von Lin Ji (jap. Rinzai). Cao Dong (jap.Soto), Yun Men (jap. Unmon). Kui Yang (jap. Ikyo) und Fa Yan (jap. Ho Gen).

Lin Ji lebte in der Zeit nach dem sechsten Patriarchen bis 866. Der nach ihm benannte Rinzai-Zen erfreut sich heute in Japan und auch im Westen einer großen Bekanntheit. Seine Lehrreden sind uns bis zur heutigen Zeit als „Rinzairoku“ erhalten. Hier ein Auszug aus einer Lehrrede von Lin Ji an seine Jünger:

„Jünger des Weges! Alle erlauchten Alten besaßen Mittel für die Rettung der Menschen. Wie ich es euch zeige, sollt ihr euch nicht von anderen verwirren lassen. Wenn ihr handeln wollt, handelt! Zögert nicht! Wenn ihr nicht an euch selbst glaubt, so taumelt ihr in allen Umständen hin und her, von tausend Dingen im Kreis gedreht und könnt nicht zur Freiheit gelangen. Wenn ihr den von Augenblick zu Augenblick rastlos kreisenden Geist zur Ruhe bringen könnt, seid ihr vom Patriarchen Buddha nicht verschieden. Wünscht ihr den Patriarchen Buddha zu wissen? Das seid ihr, die ihr jetzt vor mir sitzt und meiner Predigt zuhört.“

Der Name des Hauses Cao Dong (Soto), ist aus den Schriftzeichen der beiden Gründer Dong Shan Liang Qie (807-859) und Cao Shan Ben Chi (840-901) zusammengezogen. Sie sind die Begründer der „Soto Richtung des Zen“, welche heute noch weit im Osten verbreitet ist und der auch immer mehr Suchende im Westen folgen. Dong Shan folgte dem Meister Yun Yan. Nach den Lehrjahren nach Verlassen seines Meisters erblickte er seinen eigenen Schatten im Wasser und schrieb folgenden Vers:

„Suche nicht anderswo! Wenn du suchst, entfernst du dich nur mehr. Jetzt, da ich ganz alleine gehe, begegne ich ihm überall. Er ist jetzt genau, was ich bin. Aber ich bin nicht es???

So muss man verstehen, dann ist man eins mit dem wahren So.“

Cao Shan Ben Chi war Schüler von Dong Shan und führte die Tradition der Soto-Linie weiter.

Yun Men Wen Yan (jap. Unmon Bunen, 864-949), ein Gigant unter den Meistern seiner Zeit, war der Gründer der nach ihm benannten Yun Men Richtung. Viele Koan Sammlungen beinhalten seine Anekdoten. Es war Yun Men’s Stil seine Jünger mit Stockhieben zu unterweisen und durch Andonnern zu erschrecken, um plötzlich in den Moment der Wahrheit einzubrechen.

Als er von einem Mönch gefragt wurde, was der Zugang zur Wahrheit ist, erwiderte er: „Suppe trinken, Reis essen“. Ihm waren alle Mittel recht, dass seine Schüler alle Vorstellungen von der „Wahrheit“ abschüttelten und ihm in das Reich der grenzenlosen Freiheit des Zen-Geistes folgten.
Das Haus Kui Yang wurde von Bai Zhang und seinem Schüler Kui Shang Ling You (771-853) gegründet. Eine berühmte Zen-Geschichte erzählt von Xiang Yan, einem Schüler von Kui Shang, der zur Erleuchtung erwachte, als er eines Tages beim Jäten von Unkraut ein plötzliches Aufschlagen eines Steines auf Bambus hörte. Hier ein Auszug aus seinem Erleuchtungsvers:

„Ein Schlag und all mein Wissen ist vergessen. Kein Flickwerk mehr von Zuflucht und Besserung. Kein Rückfall in verzagtes Treiben mehr. Ich trete nirgends in die Spur von anderen.“

Das Haus Fa Yan entstand als letztes der fünf Häuser und sein Bestehen war nur von kurzer Dauer. Der Gründer Fa Yan Wen Yi (855 – 958) wurde für seine psychologische Einsicht gerühmt. Trotz der hohen Bildung Fa Yans kam sein Stil voll zur Geltung, wie folgender Dialog veranschaulicht:

Einer seiner Schüler stellte die Frage: „Was soll man während der zwölf Stunden des Tages und der Nacht tun?“ Der Meister erwiderte: „Jeder Schritt soll auf diese Frage treten.“

Das Koan

Das Koan, ein spezifisches Hilfsmittel auf dem Erleuchtungsweg, wurde während der Song-Dynastie (960-1279) ausgeformt. Dem Wortsinn nach bedeutet Koan „Rechtsfall“. Die paradoxen Worte und merkwürdigen Taten, die zwischen Meister und Schüler entstanden, sind in verschiedenen Koan-Sammlungen aufgezeichnet und werden auch heute noch in den Schulungen des Rinzai-Zen verwendet. Wesentlich für das Koan ist, dass es rational unlösbar ist und in den Bereich des Irrationalen verweist. Das Koan zwingt, die Bahn des rationalen Denkens zu verlassen und über die gewöhnliche Bewusstseinslage hinaus zu schreiten, um in einer neuen Dimension eine grundlegende Erfahrung zu machen. Ein wichtiges Koan, das auch oft am Anfang einer Zen-Ausbildung steht, heißt: „Wie bist du am Tage deiner Geburt?“

Diese Frage wirft den Zen-Schüler auf sein eigenes ursprüngliches Herz zurück. Das Koan beabsichtigt das Durchbrechen der Mauern des Geistes und das Übersteigen seiner Begrenztheit in die absolute Freiheit. Das Mumonkan, eine der bedeutendsten Koan-Sammlungen aus der Endphase der Song-Zeit, wird noch heute in den Zen-Klöstern zur Unterweisung der Mönche verwendet.

Der chinesische Buddhismus bahnte sich schon sehr früh den Weg in seine Nachbarländer Korea, Vietnam und Japan. Auch kamen Mönche der verschiedenen Länder nach China, um ihre Einsicht in den Buddhismus zu vertiefen und sich unter chinesischen Meistern zu üben.
Nach Korea gelangte der Buddhismus im Jahre 373 durch den Mönch Sundo. Seit dieser Zeit begann der Buddhismus in Korea zu blühen und wurde vom königlichen Haus gefördert. Der Zen wurde schon im Jahre 630 eingeführt. Von Korea kam der Buddhismus im Jahre 552 nach Japan an den kaiserlichen Hof in Nara.

Der japanische Mönch Dosho (598 – 670) hatte bei seiner Chinareise Kontakt mit einem Schüler des zweiten Zen-Patriarchen Hui Ke und errichtete in Nara die erste Zen-Halle auf japanischen Boden. Er begründete keine Überlieferungslinie im Zen, lehrte aber vielen Menschen die Zen-Meditation.

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